DER SCHATZ IM GEGENSTEIN

Bei Ballenstedt liegen auf einer Anhöhe zwei Sandsteinfelsen, Gegensteine genannt. Der Kleine gibt, wenn man gegen seine Mittagsseite spricht, jeden Ton im Echo zurück und heißt daher „der Laute“ – der Teufel soll dort hineingefahren sein und die Touristen mit dem Nachäffen foppen. Neckt man ihn wieder, wird man mit Steinen beworfen. Der andere nennt man „den Stummen“. Aber langsam, welcher böse Geist hier einst sein Unwesen getrieben haben soll, erzählt folgende allbekannte Sage:

Eines Sonntags ritt ein Bauer aus Ballenstedt kurz vorm Sonnenaufgang nach Quedlinburg um zum Gottesdienst zu gelangen. Ermattet von den vielen Aufgaben, die er schon am Morgen erledigt hatte, schlief er auf dem Rücken seines Pferdes ein und erwachte erst, als sein Gaul ruhig grasend innehielt. Was war das für eine seltsame Umgebung? Nie zuvor hatte er diese seltsamen Felsen gesehen, die vor ihm in den Himmel ragten. In den großen Felsen führte eine lange Treppe tief hinab. Die Neugierde trieb ihn an, sich der Öffnung zu nähern und hinabzusteigen. Unten erblickte er einen großen Kessel voll Gold, daneben einen gewaltigen Stein der mit seltsamen Schriftzeichen und Edelsteinen verziert war und als drittes eine schöne silberne Peitsche. Neben den Kostbarkeiten aber, saß diese bewachend ein großer, schwarzer Hund mit feurigen Augen. Lange stand der Bauer vor den schönen Sachen und musterte sie sorgfältig. Langsam griff er in das Gold, doch der Hund rührte sich nicht. Schnell rannte der Bauer die Stufen hoch, besah sich unter freiem Himmel das Erbeutete und dachte bei sich, wie er seinen Hof erweitern könne.

Würde er aber noch einmal hinuntergehen, könnte er sich eine Burg bauen, vielleicht ein reicher, angesehener Graf werden. Auch beim zweiten Griff blieb der Hund teilnahmslos sitzen. Erst als der Mann ein drittes Mal Gold an sich nahm, sprang der Hund dem Nimmersatten entgegen, verwandelte sich in den Teufel und tauchte die ganze Höhle in ein höllengleiches Flammenmeer. Der Ballenstedter rannte um sein Leben, ergriff in der Flucht aber noch die Peitsche, sie war arg zu verführend, und im letzten Moment sprang er ins Freie, bevor die zur Erde polternden Felsbrocken den Höhleneingang versperrten.

Mit Sausen und Brausen fuhr der Teufel hoch in die Luft und schlug im lauten Gegenstein wieder ein. Wie gesagt, soll der Teufel dort heute noch hausen. Der Bauer der froh war, mit dem Leben davon gekommen zu sein, bekreuzigte sich und wie er stolzen Herzens das erfasste Gold besah, stellte er erschrocken fest, dass es sich in wertlose Kiesel verwandelt waren. Einzig die Peitsch war des Landmannes Lohn. Die Peitsche des Teufels! Als er dessen gewahr wurde, warf er sie weit von sich, ritt fiebernd nach Hause, worauf er drei Tage später gestorben sein soll.

(aufgeschrieben von Carsten Kiehne in "Achtsame Schritte am Teufelsmauerstieg" (Sommer 2017) nach Gottschalck, 1814 und Siebert & Siebert, 1927)